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Erschienen in: „Hannoversche Allgemeine Zeitung„, April  2014

Frau Banzhaf, bevor wir darüber sprechen, wie man Saatgut selbst sammeln und züchten kann und warum das viel Spaß bereiten kann, müssen Sie erklären, warum das eigentlich etwas besonderes ist.

Saatgut war über Jahrtausende ein Allgemeingut. Saatgut wurde nicht verkauft, es wurde weitergegeben – wie andere Bestandteile von Kultur und Wissen der Menschen.

 

Sie haben Ihr gerade erschienenes Buch „Wer die Saat hat, hat das Sagen“ genannt. Bauern und Hobbygärtner säen und ernten doch – haben sie nicht das Sagen über ihr Saatgut?

Die Bauern in Deutschland produzieren heute praktisch kein Gemüsesaatgut mehr selbst, und auch bei Getreide wird nur noch etwa die Hälfte des Saatgutes aus der Ernte gewonnen. Die Bauern kaufen ihr Saatgut bei Anbietern, die zu den marktbeherrschenden Unternehmen wie Monsanto, Bayer oder DuPont gehören. Sie kaufen jedes Jahr aufs neue Saatgut aus Hybridzüchtung, die selbst keinen Nachbau ermöglichen – und den darauf abgestimmten Dünger. Hybride verknappen auf künstliche Weise ein Gut, das allen offen stehen sollte.

 

Was sind die Folgen?

Es gibt heute eine extreme Vereinfachung beim Anbau von Lebensmitteln. Es gibt immer mehr Monokulturen. Die lassen sich aus der Sicht der industriellen Landwirtschaft besser bewirtschaften als eine Kulturlandschaft mit Vielfalt. Es geht um eine scheinbare Effizienz, die einen unglaublichen Druck auf viele Bauern erzeugt, die diese Entwicklung selbst als tragisch betrachten.

 

Was spricht denn aus Ihrer Sicht gegen diese Vereinfachung beim Anbau von Lebensmitteln, wie Sie das nennen?

Wir können eine dramatische Vernichtung von Kulturpflanzenvielfalt beobachten, die auch mit einer geschmacklichen Verarmung einher geht. Drei Arten liefern uns Menschen heute 60 Prozent der Nahrungsenergie.

 

Wie viele Arten könnten wir nutzen?

Es dürften wohl etwa 50.000 Arten sein, die wir zur Nahrungsaufnahme nutzen könnten – mit unzähligen dazugehörigen Sorten.

 

Sie haben in Göttingen eine Initiative für urbane Gärten gestartet und setzen sich für Saatgutvielfalt ein. Was kann ich denn als Kleingärtner machen, um die Sortenvielfalt zu erhalten?

Da gibt es zum Glück viele Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden. Ein Beispiel: Gruppen, die sich um alte Sorten kümmern wie wir hier in Göttingen, vergeben oftmals Patenschaften für eine Sorte.

 

Was mache ich als Pate einer Sorte?

Sortenpaten bekommen Saatgut der entsprechenden Sorte und könne diese in ihrem Garten oder auf dem Stadtbalkon anpflanzen. Sie können die Pflanzen ernten und essen und Saatgut davon gewinnen. Erhalten durch Essen, das ist doch wunderbar!

 

Worauf müssen Hobbygärtner denn achten, wenn sie Saatgut kaufen können, aus dem sie auch selbst neues Saatgut gewinnen wollen?

Auf der Verpackung von Hybridsaatgut steht F1. Wenn diese Bezeichnung fehlt, ist davon auszugehen, dass das Saatgut von einer samenfesten Sorte stammt.

 

Ist das Vermehren von Saatgut schwer?

Die Menschen haben 10.000 Jahre lang Wissen angesammelt und im Alltag eingesetzt – und auch immer wieder Neues probiert. Sie haben Wissen und Saatgut an die nächste Generation weitergegeben. Große Unternehmen beschäftigen sich seit 1850 mit dem Saatgut. Und heute wollen diese Unternehmen selbst Bäuerinnen und Bauern weismachen, dass sie das nicht können. Kurz gesagt: Das Vermehren von Saatgut kann grundsätzlich jeder.

 

Womit sollte ich denn als Laie beginnen?

Starten Sie mit der Tomate. Es gibt verschiedene Methoden, das Saatgut zu gewinnen. Die einfachste: Die Tomate aufschneiden, den Kern mit der glibbrigen Masse und den Samenkörnen raus nehmen. Dann die gallertartige Masse auf einem Tuch ausdrücken und die Kerne trocknen lassen. Und schon haben Sie das Saatgut für das nächste Jahr.

 

Wie lagere ich die Saatkörner am besten?

Die trockenen Samenkörner einfach in ein Glas tun und das Glas beschriften – fertig.

 

Die Tomate ist also einfach, wo wird es schwieriger?

Die Möhre ist etwas für Fortgeschrittene. Wissen Sie, wo bei der Möhre das Saatgut ist?

 

Nein.

Da sind Sie nicht alleine. Möhren sind zweijährige Pflanzen. Im zweiten Jahr kann die Pflanze mehr als einen Meter hoch nach Oben wachsen – und dann bilden sich die Samen in den weißen Blüten.

 

Das Vermehren von Saatgut für die nächste Saison ist die eine Sache, die andere ist die Züchtung. In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass es etwa in Mexiko Tausende Sorten Mais gab und noch immer gibt, für jede Bodenlage, für unterschiedliche Höhen, für unterschiedliche Gerichte. Wie haben das die Menschen dort gezüchtet?

Es gibt 6000 Jahre alte Höhlenfunde einer Pflanze, die wir heute Teosinte nennen. Mit wenigen Körnern erinnert sie eher an eine Kornähre. Aus diesem Wildgras hat sich über sehr viele Jahre auch der Maiskolben entwickelt – durch Mutationen und durch gezielte Auslese der Menschen.

 

Wie muss man sich ein solches Züchten vorstellen?

Eine erste Auslese fand sicher schon beim Sammeln von Getreide statt. Wildes Getreide platzt früh auf und vermehrt sich dadurch. Die Menschen sammelten gezielt das Getreide, das an der Ähre blieb. Es muss dann ein ständiges Probieren gewesen sein. Die frühen Bauern haben Samen der Pflanzen genommen, die besonders gut getragen oder besonders schmackhaft waren. Über Generationen haben Gruppen von Menschen die Maissorten gezüchtet, die ihnen das Überleben gesichert haben – und die ihnen schmeckten.

 

Das können heute also auch Kleingärtner machen?

Es ist doch herrlich, sich auszuprobieren. Ob alleine im Garten oder in einer Gruppe. Wichtig ist, dass man anfängt, sich Gedanken macht, Spaß entwickelt an der Vielfalt und am vielfältigen Geschmack.

 

Was sind denn für heutige Kleingärtner die Vorteile einer Sortenvielfalt – neben dem Geschmacksunterschieden?

Das sind die selben wie bei den Maiszüchtern in Mexiko. Unsere Böden und klimatischen Bedingungen sind unglaublich vielfältig. Eine Sortenvielfalt sichert auch eine Vielfalt von Tieren und anderen Pflanzen. Unterschiedliche Sorten blühen etwa zu verschiedenen Zeiten – was wiederum etwa für Bienen wichtig ist. Und das gesamte System Garten ist weniger anfällig für Krankheiten. Es ist doch verrückt, dass heute in allen Ländern, in denen Bananen angebaut werden, überwiegend eine Sorte angebaut wird.

 

Bio, regional, vegan – es gibt einige Themen rund um Lebensmittel, die in den vergangenen Jahren breitere Schichten erreicht haben. Mit einem Buch über Saatgut schreiben Sie heute noch für die Nische.

Es gibt besonders in den Industrienationen eine Entfremdung von der Lebensmittelproduktion. Wir sehen als Stadtmenschen vielleicht ab und zu noch eine Kuh, aber mit Saatgut kommen wir nicht in Kontakt. Saatgut ist, wenn man es sich aus der Nähe betrachtet, wunderschön. Aber es wissen heute nur wenige Menschen von der Bedeutung des Saatguts.

 

Wenn es denn mit dem Vermehren von Tomaten und Möhren klappt, wie können Hobbygärtner andere Menschen für dieses Thema begeistern?

Es gibt viele Möglichkeiten. Saatgut ist ein schönes kleines Mitbringsel zum Geburtstag, man kann es sogar per Post an Freunde verschicken, dem Nachbarn schenken. Und man kann darüber sprechen. Saatgut ist so wichtig, und Saatgut sollte uns allen gehören.

 

Das letzte Kapitel Ihres Buches ist ein Plädoyer für mehr Chaos. Chaos ist in unserer Gesellschaft im Allgemeinen und bei Gartenfreunden im Speziellen nicht gerade beliebt. Warum also Chaos im Garten?

Wir glauben ja gerne, dass wir die Natur beherrschen – haben vieles aber noch nicht verstanden. Dieses nicht verstandene System wollen wir effizient nutzen. Das Ergebnis ist: Wir reduzieren Vielfalt zu Einfalt. Ein sinnvolles Durch- und Nebeneinander – Chaos ist ja hier auch eine Zuschreibung von Außen – ist komplex, widerständig und lebendig. Und mit dem Saatgut fängt alles an.

(© Text: Gerd Schild)

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