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Erschienen in: „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, März 2014

Rock-Konzerte sind genormte Räume zum Ausrasten. Ein Dutzend Songs, Zugabe, noch eine Zugabe, Schluss. Die Zuschauer trinken teures Bier aus Pfandbechern und gehen schweißnass und beseelt nach Hause. Hach, so geht Rock’n’Roll. Bei Youtube sieht man dann, dass etwa die Mitglieder der eigentlich feinen Band Franz Ferdinand am Ende des Konzertes gemeinsam auf das Schlagzeug hauen. In Berlin, in Brighton, in Brisbane. Fans bestellen, Bands liefern – das ist die Abmachung.

Augen aus der Raucherkneipe

 

Peter Doherty liefert nicht. Im lange ausverkauften Capitol in Hannover singen ein paar Zuschauer „Happy Birthday“, als Doherty mit seiner Band Babyshambles ziemlich pünktlich auf die Bühne tritt. Doherty, schwarze Hosenträger auf schwarzem Shirt, die Haare kurz rasiert, schaut aus Augen, die immer so verquollen aussehen, als stehe sein Bett in einer Raucherkneipe. Er wundert sich vielleicht, dass er heute 35 Jahre alt wird, vielleicht, dass er seinen Geburtstag in Hannover verbringt. Vielleicht wundert er sich auch nicht, vielleicht ist er auch betrunken, bekifft oder hat sich vor dem Konzert eine Dosis Gift in die Blutbahn gedrückt. Man weiß es nicht.

Er lässt die Leute singen, lässt sie Fans sein und macht das, was er kann und will: Musik. Und Quatsch. Doherty springt ins Publikum, er wirft den Mikrofonständer in die Menge, schmeißt die Gitarre zur Bühnenseite, statt sie dem Assistenten in die Hand zu geben. Der schimpft mit Doherty und wirkt dabei wie ein Vater, der dem Dreijährigen erklärt, dass die Pfütze doch nun wirklich langweilig ist.

Er steht da, und versteht nicht, was passiert

 

Als ihm jemand eine Geburtstagstorte auf die Bühne des Capitols bringt, regt sich Doherty nicht. Er sagt nicht Danke, er wirft sie nicht ins Publikum, er spuckt nicht drauf, nein, er probiert schweigend ein Stück und steht einfach da, als sei er Gast bei einer sakralen Zeremonie, die er nicht versteht und die ihm schnuppe ist. Manchmal nuschelt der Sänger, scheint etwas Wichtiges sagen zu wollen und lässt es doch sein. „Let’s play a song“, sagt er.

Die Babyshambles haben ihre liebe Mühe mit sich und der Musik. Wenn es dann aber läuft, dann findet Doherty in Stücken wie „Delivery“ oder „Farmer’s Daughter“ vom großartigen aktuellen, dritten Album „Sequel to the Prequel“ eine Heimat. Es ist Indie-Punk mit cleveren, poetischen Texten, die selten sind in der Welt des großen Geschrammels. Es ist direkt, ohne viel Chi-chi, ohne das scheinbar unvermeidliche Elektro-Gefrickel. Rock’n’Roll, wie ihn schon die Libertines, Dohertys erste Band, gemacht hat, Ende der Neunziger, als rotziges, britisches Pendant zu den Strokes aus den USA.

Wer den Poeten Doherty singen lassen will, der muss den Chaoten Peter leben lassen.

 

Perfekt sind die Babyshambles nicht. Der Sound ist mäßig, Dohertys Stimme ist dünn, Verspieler gibt’s im Dutzend. Ja, ja, ja. Aber beim nächsten Konzert heute Abend in München, da ist es vielleicht genauso oder ganz anders, vielleicht großartig oder schlecht oder fällt sogar aus. Oder es passiert etwas wie im britischen Camden, wo Doherty noch gedankenverloren auf der Bühne saß, als das Saallicht längst an war und die Zuschauer nicht wussten, was sie machen sollten außer starren. Wer den Poeten Doherty singen lassen will, der muss den Chaoten Peter leben lassen.
Doherty ist unvorhersehbar. Das wissen seine Fans und seine Bandkollegen, das wissen Ärzte in mehreren Entzugskliniken, das weiß Doherty selbst.

Doherty sagte einmal, er liebe die Sex Pistols, weil die die Heiligtümer des Rock’n’Roll zerstörten, um aus den Trümmern neue Kathedralen zu errichten. Man müsse sich selbst ab und zu zertrümmern und neu aufbauen. Peter Doherty ist in diesen Dingen ein fleißiger Handwerker.

(© Text: Gerd Schild / Foto: J. Loock (bei einem Konzert im Jahr 2011))